Was wurde getan?


Diskutieren statt Ignorieren

Rudow setzt auf Vielfalt, an Stelle von Einfältigkeit. Rudow setzt auf Kultur und Dialog, statt auf Gewalt und Schikane. Rudow wehrt sich gegen rechts außen, und zwar mit allen demokratischen Kräften. Ein Beispiel dafür: eine Lesung in der Alten Dorfschule, die gerade Eltern, deren Kinder nach rechts abgedriftet sind, Mut und Hilfestellung gab.

Wegschauen, bagatellisieren, ignorieren, verharmlosen oder schweigen – ist das Alltag und Normalität in Deutschland im Umgang mit Neonazis? Und wenn dies die Normalität ist, wie geht man dann mit dieser Normalität um? Einer Normalität, in der "eine Ideologie der Ungleichheit von Menschen und Gruppen mit Gewaltakzeptanz" ihren Platz hat. Was geschieht dann, fragt sich Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Dann legt sich ein "Normalitätspanzer" um solche Entwicklungen, lautet seine Antwort." Die Folge ist: es entsteht eine öffentliche wie private Schweigespirale, in politischen Veranstaltungen, in Schulen wie in Familien."

Diesen Supergau der Zivilgesellschaft hat Claudia Hempel vor Augen, als sie der Frage nachgeht, was geschieht, "Wenn Kinder rechtsextrem werden". Sie las vor nicht langer Zeit aus ihrem Buch in der Alten Dorfschule und löste eine interessante Diskussion aus. Eingeladen wurde sie vom Aktionsbündnis Rudow und vom Bündnis Neukölln. Anlass: Erinnern an die rassistisch motivierten Brandanschläge auf Rudower Wohnhäuser im Blumenviertel. Betroffen waren damals zwei Familien mit Migrationshintergrund. Die Täter kamen aus der Nachbarschaft. Ziel der Lesung war es, Eltern Mut zu machen und auf Hilfen hinzuweisen, wenn ihre Kinder den Gefahren des Rechtsextremismus ausgesetzt sind.

Claudia Hempel hat Mütter von Jugendlichen interviewt, die in der rechten Szene aktiv sind. Ihre These nach den Interviews. "Rechtsradikalismus kann nur dort erfolgreich agieren, wo Demokratie erodiert. Er ist möglich, "weil Zivilgesellschaft versagt". Aber was sind die Anzeichen dafür, dass Zivilgesellschaft versagt? Es gibt viele davon, Schweigen, Verharmlosen oder Wegschauen zählen dazu. Die Mütter, die Hempel interviewt hat, haben in ihrem Ringen um ihre Kinder genau dies erlebt. So bekam Uwes Mutter vom Direktor der Schule ein Schreiben, weil ihr Sohn auf der Toilette rauchte. Nicht benachrichtigt wurde sie darüber, dass ihr Sohn verdächtigt wurde, ein Hakenkreuz in eine Bank der Schule eingeritzt zu haben. Begründung: die Schule habe lediglich einen Bildungsauftrag und keinen Erziehungsauftrag. Uwes Mutter ist schockiert. Aber nicht nur über das Verhalten des Direktors. Über den Alttagsrassismus, dem sie begegnet, sagt sie: "Da merkt man, die Parolen der NPD sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und keiner sagt etwas dagegen". Auch Rosa kämpft um ihren Sohn Sven, den sie schließlich an die NPD verliert. Sven trug Nazi-Klamotten der Marke Londsdale, ließ sich ein White Power Zeichen am Hinterkopf einrasieren und trat mit andern Jugendlichen in Nazi-Klamotten und Springerstiefeln auf dem Schulhof auf. Sie suchte vergebens Hilfe beim Jugendamt, bevor alles schlimmer wurde. Dort warf man ihr vor, ihr Sohn sei 16 und brauche mehr Freiheiten. Sie gab ihm die Freiheiten, dann aber geschah das Unglück. Sven und andere Jugendliche schlugen einen Imbissverkäufer mit Migrationshintergrund ohne Grund so zusammen, dass er wegen einer starken Schädelverletzung im Krankenhaus sofort operiert werden musste.

Das Schweigen und Wegsehen und das Versagen einzelner Personen in staatlichen Institutionen wird sichtbar in Hempels Buch. Ebenso sichtbar wird, mit welchen subtilen Methoden Nazis Jugendliche anlocken." Der naziintellektuelle Gregor ist zusammen mit Sophie. Als Sophie nach einer Naziveranstaltung bemerkt, sie könne nicht glauben, was da über Juden gesagt wurde, entgegnet ihr Gregor: "Du musst doch nicht alles glauben, was dort erzählt wird. Du musst nur deins rausnehmen, einfach die Dinge, die du glauben willst, Ich mach das auch so". Sophies Eltern müssen mit ansehen wie ihre volljährige Tochter Sophie immer tiefer im rechten Sumpf versinkt, sich als Frau völlig Gregor unterordnet und sich zum Schluss mit Gewaltdrohungen gegen ihre Eltern wendet.

Was können Eltern tun, damit ihre Kinder nicht in die Naziszene abdriften? Was können Sie tun, damit die Kinder dort wieder herausfinden? Das waren zwei zentrale Fragen der Diskussion. Antworten darauf waren, dass Eltern Grenzen setzen müssen und Widerspruch leisten sollen: "Wir oder die Nazis!" Eine zweite zentrale Frage war: Was können Ämter oder Institutionen wie Schulen gegen Rechtsradikalismus tun. Sie sollten aufklären, informieren war die Antwort. Eine Teilnehmerin wies darauf hin, dass es in Berlin ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gibt. Es fördert jährlich bis zu 40 Projekte.

Leider haben die Aktivitäten seit dem Rudower Brandanschlag (2008) nicht nachgelassen. Herbert Dünnemeier vom Aktionsbündnis Rudow wies darauf hin und nannte jüngste Beispiele wie den Anschlag auf das Haus eines ehemaligen DV-Mitglieds am Buckower Damm, Angriffe gegen Projekte und Einrichtungen im Norden Neuköllns und rechtspropagandistische Delikte im Süden Neuköllns.

Es bleibt also noch viel zu tun, damit sich Brandanschläge wie in Rudow oder geplante Nazi-Terrorakte wie das Bombenattentat auf das Oktoberfest in München im Jahr 1980 nicht wiederholen. 13 Menschen starben sofort. 211 wurden verletzt, davon 68 Menschen schwer. Damals verloren Eltern ihre Kinder, Kinder ihre Eltern, Frauen ihre Männer und Männer ihre Frauen.

Stephanus Parmann

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Foto: © Stephanus Parmann/titangrafik

Claudia Hempel, "Wenn Kinder rechtsextrem werden, Mütter erzählen", zu Klampen! Verlag, 208 Seiten, ISBN 9783866740211, 12,80 €

Weitere Informationen
Landesprogramm gegen Rechtsextremismus http://www.berlin.de/lb/intmig/themen/rexpro/index.html

ReachOut - Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus und Rassismus, Projektträger: ARIBA e.V.
Oranienstraße 159, 10969 Berlin
Tel.: (030) 69 56 83 39

Internet: www.reachoutberlin.de, Mail: info@reachoutberlin.de
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR) Chausseestraße 29,
D-10115 Berlin, Telefon: 030 / 240 45 430, www.mbr-berlin.de

 

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